„Die Linie ist die Spur des sich bewegenden Punktes …“, sagte Wassiliy Kandinsky. In der Kunst ruft die Linie beim Betrachter eine Wirkung hervor, die aus den jeweiligen Stimmungen und Erfahrungen des Betrachters gespeist ist. Linien können unterschiedliche Eigenschaften haben und auch ebenso unterschiedliche Verbindungen eingehen: fest und stabil oder dynamisch und unruhig, offen aufnehmend oder beschützend geschlossen. Sie sind einerseits Gestaltungs- und Formelemente, auf der anderen Seite schaffen sie Vernetzungen, erzeugen neue Verbindungen und Wechselwirkungen. Mit linking lines erarbeiten die neun SO-66 Künstlerinnen Lineares. Sie erforschen die Linie als rein optisches Element ebenso wie die nicht sichtbare, gedachte Verbindungs-Linie, z.B. im gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Kontext.
Die Umrisslinie eines menschlichen Kopfes wird umfangen von einem bedrohlichen Liniengewirr. Mit der Arbeit „Vernetzung“, in einer Mischtechnik aus Zeichnung und Papierdruck erstellt, thematisiert Crista Book die Diskrepanz unserer digitalen Welt: Den Vorteilen der weltweiten Vernetzung mit dem für jeden zugänglichen Informationsangebot steht die Gefahr des Verlusts von Privatsphäre und Selbstbestimmungsrecht gegenüber.
Arbeiten aus unterschiedlichen Schaffensphasen zeigt Anne Fellenberg. In ihrer Zeichnung „o.T.“ umreißt eine sparsame, klare Linienführung eine vielschichtige, ungeordnet erscheinende räumliche Situation. Einen Gegensatz dazu bildet die Arbeit „gestapelt“: Hier wird ein vielfarbiges Liniengewirr von einer einzigen starken Haupt-Linie, die ordnend und formgebend eingreift, in eine kompakte Form mit dreidimensionaler Wirkung gebracht.
„‚Lines‘ verstehe ich als Wellen, als nicht sichtbare Verknüpfungen“, sagt Annette Hinricher. Das sind für sie z.B. „Abläufe im www, optisch nicht sichtbar, dennoch stark manipulativ wirkend, oder ein Corona-Virus, das ich nicht sehe und das dennoch in mein Leben eingreift“. Die Künstlerin: „Diese Verknüpfungen drängen sich mir ungefragt auf und erzeugen ein Gefühl des Verlusts meiner Integrität.“ Diese Empfindung visualisiert sie in ihrer Arbeit „lines“, einem aus Zement gefertigten Kopf mit einer „Zusatzausstattung des biologisch vorgegebenen Sensoriums in Form von verschiedenen Spezial-Antennen“.
„Das Ganze oder Die Summe seiner Teile“ betitelt Waltraud Kleinsteinberg eine Serie von acht Pastell/Kohle-Zeichnungen. Schwarze Kohle-Linien markieren grafische Zeichen auf weißem Kreide-Grund. Erst in der Gesamtheit der acht Einzelteile tanzen sie einen Rhythmus von miteinander kommunizierenden Elementen, die an archaische Symbol-Sprachen erinnern. Mit „VERLINKT“ kommentiert Waltraud Kleinsteinberg die in der Corona-Situation erwachsenden Entsolidarisierungs-Tendenzen. Zwei kleine Köpfe, gefertigt aus Ytong und Gips, sind wunderlich miteinander verbunden. Die beiden Enden einer Kordel stecken jeweils in einem der Köpfe. So hängen sie aneinander, haben zwar ihren Freiraum, sind aber niemals völlig autark. Sie bilden eine soziale Schicksalsgemeinschaft, ein Beziehungsgeflecht, dem sie nicht entrinnen können.
Zwei unterschiedliche Komponenten verbindet Gabriele Maria Koch in ihrem Werk „Innernet“: ein Zahnrad aus Eisen, für die Künstlerin Sinnbild für die Beschleunigung der gesellschaftlichen Prozesse, sowie pflanzliche Fäden aus Brennnesselfasern, einem natürlichen Material. Der Zahnkranz umschließt einen offenen Innenraum, in dem sich die Linien der Nesselfäden kreuzen und ein Netz bilden – ein „Innernet“. Gabriele Maria Koch sagt: „Im Innern des Eisen-Rades wird der ‚Faden aufgenommen‘, gleichsam ein Kontakt hergestellt zum eigenen Innenraum jenseits einer äußeren Betriebsamkeit. Der Stillstand des Räderwerkes ermöglicht die Muße für den inneren Prozess.“
In großformatigen Fotografien „Flieg…“ präsentiert Gisela Schäper Abbildungen von filigranen Objekten, die auf den ersten Blick nicht zu deuten sind. Seitlicher Lichteinfall lässt kleine organische Skulpturen ihre Form und ihre Farbe finden. Es sind pflanzliche Blätter, die ein deutlich hervortretendes Linienbild mit feiner grafischer Zeichnung zeigen. Sie erzählen in komprimierter Form vom organischen Prozess des Wachsens und Vergehens. „Wie eingefroren geben die Linien dem Blick des Betrachters die Richtung vor. Man spürt fast den Windhauch, der das Blatt ergreift und es aus dem Bild trägt. Flieg, flieg…!“, sagt die Künstlerin.
Liane Sommer zeigt digitale Zeichnungen, in denen sie mit unterschiedlichen farbigen linearen Formen experimentiert.
In den Acryl-Bildern von Veronika Teigeler „finden Linien, Flächen und Punkte ihren Weg zu einer bildhaften Darstellung ohne vordergründige Realitätsbezüge“. Die Arbeiten der Serien „Plantation“ und „Supply center“ werden dominiert von Rastern und grafischen Strukturen in kontrastreichem Schwarz auf weißer Leinwand. Assoziationen an Formen aus der Vegetation werden durch sparsam eingesetzte Farb-Akzente geweckt und unterstützt.
Ulrike Vetter ist mit einer kleinformatigen Serie von Collagen zum Thema "Die vermessene Frau" präsent.
Linking lines startete am Sonntag, 7. Juni ab 15.00 Uhr. Aufgrund der Corona-Situation konnte leider keine Vernissage stattfinden.
Produzentengalerie SO-66
Soester Straße 66
48155 Münster
Ausstellungszeitraum: 07. Juni – 19. Juli 2020
Öffnungszeiten: Sonntag 15.00 – 18.00 Uhr
und nach Vereinbarung: Tel. 0175 – 605 26 17
Westfälische Nachrichten vom 06.06.2020
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