Westfälische Nachrichten vom 5.8.2019
Westfälische Nachrichten vom 9.8.2019
Performance_Nachstellung des Bauhaus-Fotos von Erich Consemüller / 1926
Produzentengalerie SO-66 | Die neue Ausstellung |
Eröffnung Sonntag 11. August um 15 Uhr
WO WOLLE(N) IST, IST AUCH EIN WEIB (frei nach Oskar Schlemmer)
Ein künstlerischer Blick auf 100 Jahre Bauhaus und die Bauhaus-Künstlerinnen
Der Titel deutet es an: Auch am Bauhaus, das ja bekanntlich den „neuen Menschen“ und damit auch „die neue Frau“ schaffen wollte, wehte noch der Zeitgeist des frühen 20. Jahrhunderts mit seinen
Einschränkungen für Frauen in allen Lebensbereichen.
Damals begann erst langsam die allgemeine Öffnung der Hochschulen für Frauen. So waren auch Studentinnen zum Studium am Bauhaus zugelassen und die jungen Frauen strömten in großer Zahl an die Hochschule. Doch die männliche Leitungsebene und Lehrerschaft fürchtete um das Ansehen der Schule, wenn die Frauen in den „wichtigen“ technischen Fächern überhandnähmen. Sie sahen auch am zukunftsorientierten Bauhaus den Platz der Frauen in dem historisch als „weiblich“ gekennzeichneten Bereich „Textiles“, somit landeten die Studentinnen überwiegend in der Weberei. In vielen anderen technischen Bereichen arbeiteten immer auch Studentinnen verantwortlich mit, doch zu Ruhm und Ehre gelangten gemeinhin die männlichen Protagonisten.
SO-66 lenkt nun den Blick auf das Bauhaus und explizit auf die Bauhaus-Künstlerinnen und deren Bestreben, sich aus dem Traditions-Korsett zu lösen. Die SO-66 Künstlerinnen
verfolgen die Wege von der „Wolle“ zum „Wollen“.
Crista Book zeigt eine großformatige Fotografie als Raum-Installation: Eine Tänzerin, lebensgroß aufgezogen, im Raum schwebend und sich um die eigene Achse drehend. Diese Arbeit ergänzt Book (zusammen mit Ruth Stuckenberg) mit einer digitalen Fotodokumentation. Die gesamte Arbeit unter dem Titel „Ich tanze Schwarz“ ist eine Hommage an die Bauhausmeisterin Gertrud Grunow und deren „Harmonielehre“, die eine gleichberechtigte, harmonische Nutzung aller Sinne zum Ziel hatte. Sie ließ ihre Schüler „Farben tanzen“ zur Erlangung eines inneren und äußeren Gleichgewichts, um so erst schöpferisch tätig werden zu können.
Einen kleinen Holzkasten, gefüllt mit farbigen Woll-Knäueln, betitelt Anne Fellenberg mit „Ready made“. Von ihr nicht weiter bearbeitet erfüllt er laut Fellenberg die
Prinzipien des Bauhausgedankens: „Ästhetisch klare Machart und praktikable Nutzbarkeit“.
Mit den klaren Formen ihrer „Cut Outs“ in langen Vliesbahnen und deren vielfältigen Licht- und Schattenwirkungen stellt Fellenberg diese Arbeit in die Bauhaus-Tradition des Experimentierens mit
Effekten des Zusammenspiels von Licht und Raum.
Die Fotografie-Serie von Annette Hinricher "Where is Lilly?" befasst sich mit der „Unsichtbarkeit des nicht unerheblichen Anteils von Lilly Reich bei der Entstehung von Bauhaus-Architektur und Möbel-Design, das unter dem Namen Mies van der Rohe berühmt geworden ist“. Die Fotografien sind 2019 im Haus Lange, einer erhaltenen Stadtvilla van de Rohes in Krefeld, entstanden. Eine „Krawatte“, von Hinricher gefertigt aus Original-Stoffen der 1940er Jahre, steht in den Szenen im Haus Lange für die Erinnerung an Lilly Reich.
In vier Papier-Collagen unter dem Titel „für M.B.“ bezieht sich Waltraud Kleinsteinberg auf Marianne Brandt, eine von wenigen Frauen der Bauhaus-Metallwerkstatt. Doch
auch der zu Anfang des 20. Jh. noch neuen Technik Collage widmete sie sich ausgiebig. Ein bevorzugtes Thema war die Beziehung zwischen den Geschlechtern und das Hinterfragen des gängigen
Frauenbildes.
Mit der Arbeit „die neue Frau“ stellt Kleinsteinberg ein bekanntes Bauhaus-Foto nach: Eine Frau mit einer Metall-Maske im Stahlrohrsessel: Ein Bild der „neuen Frau“, lässig
und selbstbewusst?
„Kaum tut sich die Möglichkeit auf, sind sie da, all die Frauen, die die Chance ergreifen wollen, einen Beruf mit der Kunst zu verbinden. Sie sind getragen von der Energie, das Alte einzureißen und auf allen Ebenen Besseres zu erschaffen“ sagt Gabriele Maria Koch. In ihrer Zeichnung „Besseres wollen“ setzt sie, angelehnt an ein fotografisches Zeitdokument, diese Frauen selbst in Szene. Sie sind da, sie sind präsent, sie sind auf dem Weg, eine bessere Zukunft mitzugestalten.
Liane Sommer bezieht sich direkt auf den Ausstellungstitel und damit auf die Aussage Oskar Schlemmers. Die strengen Formen Rechteck, Dreieck, Kreis und die Grundfarben Rot,
Blau, Gelb, die in den Bauhausprinzipien eine große Rolle spielen, werden in ihrer Arbeit „o.T.“ von Wolle vereinnahmt und umschlungen. Aber auch die "Weiber" bemächtigen sich dieser Formen, mal
spielerisch, mal sportlich, mal lasziv.
Ihre Acryl-Malerei „o.T.“ kommentiert Sommer mit der Aussage: „Strenge Formen punktuell unterlaufen.“
In Veronika Teigelers 3teiliger Acryl-Malerei „Im Netzwerk der Typografie“ lösen sich Schrift und Form auf, werden zu einem kreativ fließenden Netzwerk und entziehen
sich jeglicher Deutung einer konkreten Information. Damit bezieht sich Teigeler auf die „unglaublich vielen Texte und Wort-Bilder, die vom Bauhaus ausgehend in unzähligen Büchern und
Zeitschriften veröffentlicht wurden“.
Mit „words of flow“ zeigt Teigeler eine Wandinstallation aus demontierten Resten von Folienbeschriftungen, die von ihr neu zusammengesetzt ein dynamisches Eigenleben entwickeln.
Ulrike Vetter zeigt transparente Malerei auf Schnittmusterbogen, Titel „Fadenlauf“. Die Anleitung zur Fertigung von Kleidungsstücken – als vermeintlich weibliches Gebiet –
wird hier durch die freie malerische Überarbeitung ad absurdum geführt. „Eine moderne Antwort auf überholte Rollenzuweisungen; zudem erinnere ich mit der Formensprache an die Grundidee des
Bauhauses:
Klarheit, Geradlinigkeit und Einsatz von geometrischen Formen,“ so Vetter.
Vera Ziegler sagt zu ihrer Arbeit „Ein Gewand“: „Gefundene Stoffe. Liegen geblieben, aufgehoben. Gewoben, vernäht, aufgetrennt, zusammengebracht. Stoff im Übermaß, ganz
alltäglich, und doch so wunderbar präzise hat jeder seine jeweils eigene Geschichte. Der Versuch einer Wiederbelebung.“ Damit möchte Ziegler anknüpfen an die phantasievollen Maskeraden und
Kostüme, mit denen die „BauhäuslerInnen“ sich auf ihren legendären Motto-Festen geschmückt haben.
Die Kunsthistorikerin Dr. Uta Schmidt aus Dortmund wird zur Eröffnung der Ausstellung mit ihrem Vortrag „Wolle, Wollen und das Genie. Frauen in der kulturellen
Moderne“ einen weiten inhaltlichen Bogen schlagen: Ausgehend von der Bauhaus-Utopie einer „Schaffung des neuen Menschen“ hin zur Realität der Kultur-Geschichte und -Gegenwart aus
kunsthistorischer und weiblicher Sicht.
Wir laden herzlich ein.
Das SO-66 Team
Ausstellungseröffnung: Sonntag 11. August 2019 um 15.00 Uhr
mit einem Vortrag der Kunsthistorikerin Dr. Uta Schmidt aus Dortmund